Valproinsäure | Ergenyl | Orfiril | Epilepsie | bipolare Störung

Valproinsäure ist ein bewährtes Antiepileptikum und Stimmungsstabilisator, das seit Jahrzehnten in der Behandlung von Epilepsie und bipolaren Störungen eingesetzt wird. Die Substanz wird unter verschiedenen Handelsnamen wie Ergenyl und Orfiril vertrieben und gehört zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten in der Neurologie und Psychiatrie. Dieser umfassende Artikel bietet Ihnen alle wichtigen Informationen zu Wirkungsweise, Anwendungsgebieten, Nebenwirkungen und Besonderheiten von Valproinsäure.

⚕️ Medizinischer Hinweis zu Valproinsäure | Ergenyl | Orfiril | Epilepsie | bipolare Störung

Inhaltsverzeichnis

Die Informationen auf dieser Seite zu Valproinsäure | Ergenyl | Orfiril | Epilepsie | bipolare Störung dienen ausschließlich der allgemeinen Aufklärung und ersetzen in keinem Fall die professionelle Beratung oder Behandlung durch einen Arzt oder Apotheker.

🚨 Bei akuten Beschwerden oder Notfällen:

Notruf: 112 – lebensbedrohliche Situationen

Ärztlicher Bereitschaftsdienst: 116 117 – außerhalb der Praxiszeiten

📋 Weitere wichtige Anlaufstellen:

🦷 Zahnärztlicher Notdienst: Zahnarzt-Suche

☠️ Giftnotruf: www.giftnotruf.de (regionale Giftinformationszentralen)

💬 Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenlos, 24/7)

Bitte nehmen Sie keine Medikamente eigenmächtig ein, setzen Sie diese nicht ohne Rücksprache ab und verändern Sie keine Dosierungen. Sollten Sie Nebenwirkungen bemerken oder unsicher sein, wenden Sie sich umgehend an Ihren behandelnden Arzt oder Apotheker.

Unser Gesundheitslexikon bietet Ihnen umfassende Einblicke in medizinische Begriffe.

Was ist Valproinsäure?

Valproinsäure, auch als Valproat bekannt, ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Antiepileptika und Stimmungsstabilisatoren. Die Substanz wurde 1962 zufällig als Antiepileptikum entdeckt und hat sich seitdem zu einem der wichtigsten Medikamente in der Behandlung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen entwickelt. In Deutschland wird Valproinsäure unter verschiedenen Handelsnamen vertrieben, wobei Ergenyl und Orfiril zu den bekanntesten gehören.

Der Wirkstoff beeinflusst verschiedene Neurotransmittersysteme im Gehirn und stabilisiert dadurch die elektrische Aktivität der Nervenzellen. Diese vielfältigen Wirkmechanismen machen Valproinsäure zu einem besonders effektiven Medikament bei verschiedenen Formen von Epilepsie sowie bei bipolaren Störungen. Die Substanz ist in Deutschland verschreibungspflichtig und sollte nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden.

Wichtige Fakten zu Valproinsäure

  • Wirkstoffklasse: Antiepileptikum, Stimmungsstabilisator
  • Entdeckung: 1962 in Frankreich
  • Handelsnamen: Ergenyl, Orfiril, Convulex, Valproat u.a.
  • Darreichungsformen: Tabletten, Retardtabletten, Tropfen, Injektionslösung
  • Verschreibungspflicht: Ja, strenge Auflagen besonders für Frauen im gebärfähigen Alter

Handelsnamen und Präparate

Valproinsäure wird in Deutschland unter verschiedenen Markennamen und als Generikum angeboten. Die bekanntesten Präparate sind Ergenyl und Orfiril, die sich in ihrer Zusammensetzung und Galenik unterscheiden können.

Ergenyl

Hersteller: Sanofi-Aventis

Verfügbare Formen: Tabletten (150 mg, 300 mg, 500 mg), Chrono-Tabletten (retardiert in 300 mg und 500 mg), Lösung zum Einnehmen

Besonderheit: Ergenyl Chrono bietet eine gleichmäßige Wirkstofffreisetzung über 24 Stunden

Orfiril

Hersteller: Desitin Arzneimittel

Verfügbare Formen: Tabletten, Retardtabletten (150 mg, 300 mg, 600 mg), Saft, Injektionslösung

Besonderheit: Orfiril long ermöglicht eine zweimal tägliche Einnahme durch verzögerte Freisetzung

Weitere Präparate

Convulex: Weichkapseln mit schneller Wirkstofffreisetzung

Valproat-Generika: Kostengünstigere Alternativen verschiedener Hersteller

Depakine: In anderen europäischen Ländern verbreitet

Wirkungsweise von Valproinsäure

Die therapeutische Wirkung von Valproinsäure beruht auf mehreren komplexen Mechanismen im zentralen Nervensystem. Im Gegensatz zu vielen anderen Antiepileptika wirkt Valproinsäure auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig, was ihre breite Wirksamkeit erklärt.

GABA-Erhöhung

Valproinsäure hemmt den Abbau von GABA (Gamma-Aminobuttersäure), dem wichtigsten hemmenden Neurotransmitter im Gehirn. Dadurch steigt die GABA-Konzentration, was zu einer beruhigenden und krampflösenden Wirkung führt.

Natriumkanal-Blockade

Der Wirkstoff blockiert spannungsabhängige Natriumkanäle in den Nervenzellen. Dies verhindert eine übermäßige Erregung der Neuronen und reduziert die Anfallsbereitschaft bei Epilepsie.

Calciumkanal-Modulation

Valproinsäure beeinflusst auch T-Typ-Calciumkanäle, die bei bestimmten Epilepsieformen, insbesondere Absencen, eine wichtige Rolle spielen.

Neuronale Stabilisierung

Durch die Kombination dieser Mechanismen wird die elektrische Aktivität im Gehirn stabilisiert, was sowohl epileptische Anfälle als auch Stimmungsschwankungen bei bipolaren Störungen reduziert.

Anwendungsgebiete

Epilepsie

Valproinsäure ist eines der wirksamsten Antiepileptika und wird bei verschiedenen Epilepsieformen eingesetzt. Es gilt als Mittel der ersten Wahl bei generalisierten Epilepsien und zeigt auch bei fokalen Anfällen gute Wirksamkeit.

Generalisierte Epilepsien

  • Grand-mal-Anfälle: Tonisch-klonische Anfälle mit Bewusstseinsverlust
  • Absencen: Kurze Bewusstseinspausen, besonders bei Kindern
  • Myoklonische Anfälle: Plötzliche Muskelzuckungen
  • Atonische Anfälle: Plötzlicher Verlust der Muskelspannung

Wirksamkeit: 70-80% Anfallsfreiheit bei Monotherapie

Fokale Epilepsien

  • Einfach-fokale Anfälle: Ohne Bewusstseinsstörung
  • Komplex-fokale Anfälle: Mit Bewusstseinsstörung
  • Sekundär generalisierte Anfälle: Von fokal zu generalisiert

Wirksamkeit: 50-60% deutliche Anfallsreduktion

Spezielle Epilepsiesyndrome

  • Juvenile myoklonische Epilepsie: Mittel der ersten Wahl
  • Lennox-Gastaut-Syndrom: Schwere Epilepsieform im Kindesalter
  • West-Syndrom: Bei bestimmten Formen wirksam

Besonderheit: Breites Wirkspektrum bei verschiedenen Syndromen

Bipolare Störung

Seit den 1990er Jahren wird Valproinsäure erfolgreich zur Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt. Der Wirkstoff stabilisiert die Stimmung und reduziert sowohl manische als auch depressive Episoden.

Einsatz bei bipolarer Störung

Akute Manie: Valproinsäure zeigt bei 50-60% der Patienten innerhalb von 1-2 Wochen eine deutliche Besserung manischer Symptome wie Euphorie, Überaktivität und vermindertes Schlafbedürfnis.

Phasenprophylaxe: Langfristige Einnahme reduziert die Häufigkeit und Schwere von manischen und depressiven Episoden um bis zu 40-50%.

Mischzustände: Besonders wirksam bei gleichzeitigem Auftreten manischer und depressiver Symptome.

Rapid Cycling: Effektiv bei häufigem Wechsel zwischen den Krankheitsphasen (mindestens 4 Episoden pro Jahr).

Weitere Anwendungen

Neben den Hauptindikationen wird Valproinsäure in bestimmten Fällen auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt:

  • Migräneprophylaxe: Off-Label-Einsatz zur Vorbeugung häufiger Migräneanfälle
  • Clusterkopfschmerz: In Einzelfällen zur Prophylaxe
  • Neuropathische Schmerzen: Bei bestimmten chronischen Schmerzsyndromen
  • Verhaltensauffälligkeiten: Bei neurologischen Grunderkrankungen

Dosierung und Anwendung

Die Dosierung von Valproinsäure muss individuell angepasst werden und hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter Körpergewicht, Erkrankung, Alter und Ansprechen auf die Therapie. Eine schrittweise Aufdosierung ist wichtig, um Nebenwirkungen zu minimieren.

Indikation Anfangsdosis Zieldosis Maximaldosis
Epilepsie Erwachsene 300-600 mg/Tag 1000-2000 mg/Tag 2500-3000 mg/Tag
Epilepsie Kinder 10-15 mg/kg/Tag 20-30 mg/kg/Tag 40-60 mg/kg/Tag
Bipolare Störung 500-750 mg/Tag 1000-2000 mg/Tag 3000 mg/Tag
Migräneprophylaxe 300-500 mg/Tag 500-1000 mg/Tag 1500 mg/Tag

Einnahmehinweise

Wichtige Hinweise zur Einnahme

  • Zeitpunkt: Vorzugsweise zu oder nach den Mahlzeiten zur besseren Verträglichkeit
  • Retardformen: Tabletten nicht zerteilen oder zerkauen, sondern ganz schlucken
  • Regelmäßigkeit: Möglichst zur gleichen Tageszeit einnehmen
  • Vergessene Dosis: Nicht doppelte Dosis nehmen, sondern normale Einnahme fortsetzen
  • Therapiekontrolle: Regelmäßige Blutspiegelkontrollen notwendig (therapeutischer Bereich: 50-100 mg/l)

Nebenwirkungen von Valproinsäure

Wie alle Medikamente kann auch Valproinsäure Nebenwirkungen verursachen. Die Häufigkeit und Schwere hängen von der Dosierung, der individuellen Empfindlichkeit und der Behandlungsdauer ab. Viele Nebenwirkungen treten vor allem zu Beginn der Therapie auf und bessern sich im Verlauf.

Sehr häufig (>10%)
Häufig (1-10%)
  • Haarausfall (meist reversibel)
  • Schwindel
  • Kopfschmerzen
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Erhöhte Leberwerte
  • Konzentrationsstörungen
Gelegentlich (0,1-1%)
  • Verwirrtheit
  • Aggressivität
  • Hautausschlag
  • Ödeme
  • Menstruationsstörungen
  • Doppelbilder
Selten (<0,1%)
  • Leberschädigung
  • Pankreatitis
  • Blutbildveränderungen
  • Enzephalopathie
  • Hörstörungen

Besondere Risiken

Teratogenität – Höchstes Risiko in der Schwangerschaft

Kritische Warnung: Valproinsäure ist das Antiepileptikum mit dem höchsten teratogenen Risiko. Bei Einnahme während der Schwangerschaft besteht ein sehr hohes Risiko für schwere Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen beim Kind.

Risikozahlen:

  • 30-40% Risiko für Entwicklungsstörungen (kognitive Beeinträchtigungen, Autismus-Spektrum-Störungen)
  • 10% Risiko für schwere körperliche Fehlbildungen (Neuralrohrdefekte, Herzfehler, Gesichtsspalten)
  • Dosisabhängiges Risiko: Je höher die Dosis, desto größer das Risiko

Konsequenzen:

  • Strenge Kontraindikation bei Schwangeren (außer wenn keine Alternative besteht)
  • Bei Frauen im gebärfähigen Alter nur unter strengen Auflagen und Schwangerschaftsverhütungsprogramm
  • Aufklärungspflicht und schriftliche Einwilligung erforderlich
  • Monatliche Schwangerschaftstests während der Behandlung

Leberschädigung

Eine schwere Leberschädigung ist eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung. Das Risiko ist besonders in den ersten 6 Monaten der Behandlung erhöht, vor allem bei Kindern unter 3 Jahren und bei Kombination mit anderen Antiepileptika.

Warnzeichen einer Leberschädigung

  • Gelbfärbung von Haut und Augen (Ikterus)
  • Starke Müdigkeit und Schwäche
  • Appetitlosigkeit und Übelkeit
  • Bauchschmerzen
  • Dunkler Urin
  • Zunahme epileptischer Anfälle

Maßnahme: Bei diesen Symptomen sofort ärztliche Hilfe aufsuchen und Leberwerte kontrollieren lassen!

Gegenanzeigen und Vorsichtsmaßnahmen

Absolute Kontraindikationen

In folgenden Situationen darf Valproinsäure nicht angewendet werden:

  • Schwangerschaft: Außer bei fehlenden therapeutischen Alternativen
  • Frauen im gebärfähigen Alter: Ohne wirksame Empfängnisverhütung und Teilnahme am Schwangerschaftsverhütungsprogramm
  • Bekannte Lebererkrankungen: Aktive oder familiäre Lebererkrankungen
  • Porphyrie: Stoffwechselerkrankung
  • Mitochondriopathien: Genetische Stoffwechselstörungen
  • Überempfindlichkeit: Gegen Valproinsäure oder sonstige Bestandteile

Relative Kontraindikationen und Vorsicht geboten

Blutgerinnungsstörungen

Valproinsäure kann die Blutgerinnung beeinträchtigen. Vor Operationen muss der Arzt informiert werden. Regelmäßige Kontrolle der Blutgerinnungswerte erforderlich.

Nierenerkrankungen

Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann eine Dosisanpassung notwendig sein. Engmaschige Überwachung der Nierenwerte empfohlen.

Stoffwechselstörungen

Bei Carnitin-Mangel oder Harnstoffzyklusstörungen besondere Vorsicht. Gegebenenfalls Carnitin-Substitution erwägen.

Kinder unter 3 Jahren

Erhöhtes Risiko für Leberschäden. Nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und unter engmaschiger Kontrolle einsetzen.

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Valproinsäure interagiert mit zahlreichen anderen Medikamenten. Diese Wechselwirkungen können die Wirksamkeit beeinflussen oder das Nebenwirkungsrisiko erhöhen.

Wichtige Arzneimittelinteraktionen

Andere Antiepileptika

Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin: Gegenseitige Beeinflussung der Wirkspiegel, erhöhtes Nebenwirkungsrisiko

Lamotrigin

Valproinsäure verdoppelt die Lamotrigin-Konzentration: Erhöhtes Risiko für schwere Hautreaktionen, Dosisanpassung erforderlich

Acetylsalicylsäure

Verstärkt die Valproinsäure-Wirkung und erhöht die Blutungsneigung. Vorsicht bei gleichzeitiger Einnahme

Benzodiazepine

Verstärkte sedierende Wirkung möglich. Vorsicht bei Fahrtüchtigkeit und Maschinenbedienung

Antidepressiva

Mögliche Verstärkung der Wirkung, besonders bei MAO-Hemmern. Engmaschige Kontrolle notwendig

Antibiotika

Carbapeneme (Meropenem, Imipenem): Senken Valproinsäure-Spiegel drastisch, Durchbruchsanfälle möglich

Gerinnungshemmer

Warfarin, andere Antikoagulantien: Erhöhte Blutungsneigung, regelmäßige INR-Kontrollen erforderlich

Antipsychotika

Clozapin, Olanzapin: Mögliche Verstärkung der Sedierung und anderer Nebenwirkungen

Einfluss auf andere Substanzen

Valproinsäure kann auch die Verstoffwechselung anderer Substanzen beeinflussen:

  • Alkohol: Verstärkte sedierende Wirkung, erhöhtes Leberschädigungsrisiko – Alkohol sollte gemieden werden
  • Koffein: Keine bedeutsamen Wechselwirkungen bekannt
  • Johanniskraut: Kann Valproinsäure-Spiegel senken, sollte vermieden werden
  • Grapefruitsaft: Keine relevanten Interaktionen

Therapieüberwachung und Kontrollen

Eine erfolgreiche und sichere Behandlung mit Valproinsäure erfordert regelmäßige ärztliche Kontrollen und Laboruntersuchungen. Diese dienen der Dosisoptimierung und der frühzeitigen Erkennung von Nebenwirkungen.

Notwendige Untersuchungen

Untersuchung Vor Therapiebeginn Erste 6 Monate Danach
Leberwerte Ja Monatlich Alle 3-6 Monate
Blutbild Ja Alle 2-4 Wochen Alle 3-6 Monate
Gerinnungswerte Ja Bei Bedarf Vor Operationen
Valproinsäure-Spiegel Nach Aufdosierung Bei Dosisänderung Alle 6-12 Monate
Ammoniak Bei Risikopatienten Bei Symptomen Bei Bedarf
Schwangerschaftstest Ja (Frauen im gebärfähigen Alter) Monatlich Monatlich

Therapeutischer Bereich

Blutspiegel-Zielwerte

Therapeutischer Bereich: 50-100 mg/l (350-700 µmol/l)

Epilepsie: Meist 50-100 mg/l ausreichend

Bipolare Störung: Oft höhere Spiegel (80-120 mg/l) erforderlich

Toxischer Bereich: >150 mg/l (verstärkte Nebenwirkungen)

Zeitpunkt der Blutentnahme: Talspiegel (morgens vor der nächsten Einnahme)

Absetzen von Valproinsäure

Das Absetzen von Valproinsäure sollte niemals abrupt erfolgen, sondern immer schrittweise und unter ärztlicher Aufsicht. Ein plötzliches Absetzen kann zu schweren Komplikationen führen.

Risiken beim abrupten Absetzen

  • Status epilepticus: Lebensbedrohliche Anfallsserie bei Epilepsie-Patienten
  • Rebound-Anfälle: Gehäufte Anfälle nach Absetzen
  • Manische Episoden: Bei bipolarer Störung
  • Entzugssymptome: Unruhe, Schlafstörungen, Reizbarkeit

Empfohlenes Ausschleichen

Die Dosisreduktion sollte langsam über mehrere Wochen bis Monate erfolgen:

  • Epilepsie: Reduktion um 200-500 mg alle 1-2 Wochen, Gesamtdauer mindestens 2-3 Monate
  • Bipolare Störung: Reduktion um 250-500 mg alle 1-2 Wochen unter engmaschiger psychiatrischer Kontrolle
  • Anfallsfreiheit: Bei Epilepsie-Patienten erst nach mindestens 2-3 Jahren Anfallsfreiheit erwägen
  • Begleitmedikation: Bei Kombinationstherapie besonders vorsichtig vorgehen

Besondere Patientengruppen

Kinder und Jugendliche

Bei Kindern gelten besondere Dosierungsregeln und Sicherheitsaspekte. Die Dosierung erfolgt gewichtsadaptiert, und die Überwachung muss besonders engmaschig sein.

Besonderheiten bei Kindern

  • Dosierung: 20-30 mg/kg Körpergewicht pro Tag in 2-3 Einzeldosen
  • Kleinkinder unter 3 Jahren: Erhöhtes Leberschädigungsrisiko, nur bei zwingender Indikation
  • Wachstum: Regelmäßige Gewichtskontrolle und Dosisanpassung erforderlich
  • Entwicklung: Monitoring der kognitiven und motorischen Entwicklung
  • Schulkinder: Aufmerksamkeit auf Konzentration und Schulleistungen

Ältere Patienten

Bei Patienten über 65 Jahren ist oft eine niedrigere Dosierung ausreichend. Die Pharmakokinetik kann verändert sein, und Nebenwirkungen treten häufiger auf.

  • Startdosis: Niedrigere Anfangsdosis (z.B. 300 mg/Tag)
  • Aufdosierung: Langsamere Steigerung in kleineren Schritten
  • Sturzgefahr: Erhöht durch Schwindel und Tremor
  • Polymedikation: Besondere Aufmerksamkeit bei Wechselwirkungen
  • Organfunktion: Häufigere Kontrolle von Leber- und Nierenwerten

Frauen im gebärfähigen Alter

Seit 2018 gelten in der EU sehr strenge Regelungen für die Verschreibung von Valproinsäure an Frauen im gebärfähigen Alter. Diese Maßnahmen sollen das hohe Risiko für das ungeborene Kind minimieren.

Schwangerschaftsverhütungsprogramm

Voraussetzungen für die Verschreibung:

  • Ausführliche Aufklärung über die Risiken (Fehlbildungen, Entwicklungsstörungen)
  • Schriftliche Einverständniserklärung nach Aufklärung
  • Mindestens eine, vorzugsweise zwei wirksame Verhütungsmethoden
  • Monatliche Schwangerschaftstests vor jeder Verschreibung
  • Jährliche Überprüfung der Behandlungsnotwendigkeit durch Spezialisten
  • Keine Verschreibung für mehr als 30 Tage

Alternative Behandlungen müssen vorrangig geprüft werden!

Langzeittherapie und Prognose

Viele Patienten nehmen Valproinsäure über Jahre oder sogar lebenslang ein. Eine gut eingestellte Langzeittherapie kann die Lebensqualität erheblich verbessern.

Erfolgsaussichten

Therapieerfolg bei verschiedenen Erkrankungen

Epilepsie:

  • 60-80% der Patienten mit generalisierten Epilepsien erreichen Anfallsfreiheit
  • 40-60% der Patienten mit fokalen Epilepsien zeigen deutliche Besserung
  • Bei 30% kann nach mehrjähriger Anfallsfreiheit ein Absetzversuch erwogen werden

Bipolare Störung:

  • 50-60% Reduktion der Häufigkeit manischer Episoden
  • 40-50% Reduktion depressiver Episoden
  • Deutliche Verbesserung der Lebensqualität und sozialen Funktionsfähigkeit
  • Reduzierung von Klinikaufenthalten um etwa 50%

Langzeitrisiken und Management

Bei Langzeiteinnahme müssen bestimmte Aspekte beachtet werden:

  • Gewichtszunahme: Durchschnittlich 5-10 kg, Ernährungsberatung und Bewegung wichtig
  • Osteoporose-Risiko: Leicht erhöht, Vitamin D und Calcium-Supplementierung erwägen
  • PCO-Syndrom: Bei Frauen erhöhtes Risiko für polyzystische Ovarien
  • Kognitive Effekte: Bei den meisten Patienten minimal, regelmäßige Überprüfung
  • Haarveränderungen: Haarausfall meist vorübergehend, nachwachsende Haare können lockiger sein

Praktische Tipps für den Alltag

Einnahme und Lebensführung

Empfehlungen für Patienten

  • Erinnerungshilfen: Smartphone-Apps oder Medikamentendosierer nutzen
  • Tabletten-Vorrat: Immer ausreichend Medikamente zu Hause haben, rechtzeitig nachbestellen
  • Reisen: Medikamente im Handgepäck, ärztliches Attest in Landessprache mitführen
  • Notfallausweis: Epilepsie- oder Notfallausweis mit Medikation bei sich tragen
  • Alkohol: Konsequent meiden oder stark einschränken
  • Schlaf: Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus wichtig, besonders bei Epilepsie
  • Sport: Regelmäßige Bewegung zur Gewichtskontrolle, Vorsicht bei Risikosportarten

Wann zum Arzt?

Folgende Situationen erfordern eine umgehende ärztliche Vorstellung:

  • Gelbfärbung der Haut oder Augen
  • Starke Bauchschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen
  • Ungewöhnliche Blutungen oder blaue Flecken
  • Schwere Hautreaktionen oder Ausschlag
  • Zunahme der Anfallshäufigkeit bei Epilepsie
  • Schwere Verhaltensänderungen oder Verwirrtheit
  • Anhaltende starke Müdigkeit
  • Verdacht auf Schwangerschaft

Vergleich mit anderen Antiepileptika

Valproinsäure unterscheidet sich in mehreren Aspekten von anderen Antiepileptika. Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von vielen individuellen Faktoren ab.

Valproinsäure

Vorteile:

  • Breites Wirkspektrum
  • Wirksam bei vielen Epilepsieformen
  • Auch bei bipolarer Störung
  • Langjährige Erfahrung

Nachteile:

  • Hohes teratogenes Risiko
  • Gewichtszunahme
  • Lebertoxizität möglich

Lamotrigin

Vorteile:

  • Geringeres Teratogenitätsrisiko
  • Keine Gewichtszunahme
  • Gut bei bipolarer Depression

Nachteile:

  • Langsame Aufdosierung nötig
  • Risiko schwerer Hautreaktionen
  • Nicht bei allen Epilepsieformen

Levetiracetam

Vorteile:

  • Wenige Wechselwirkungen
  • Schnelle Aufdosierung möglich
  • Keine Lebertoxizität

Nachteile:

  • Psychiatrische Nebenwirkungen
  • Nicht bei Absencen wirksam
  • Kürzere Erfahrung als Valproinsäure

Forschung und Zukunftsperspektiven

Die Forschung zu Valproinsäure ist weiterhin aktiv, mit Fokus auf Sicherheit, neue Anwendungsgebiete und Verbesserung der Verträglichkeit.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte

  • Biomarker: Identifikation von Patienten mit erhöhtem Nebenwirkungsrisiko durch genetische Tests
  • Neue Darreichungsformen: Entwicklung von Formulierungen mit besserer Verträglichkeit
  • Kombinationstherapien: Optimierung der Kombination mit anderen Antiepileptika
  • Neuroprotektive Effekte: Untersuchung möglicher schützender Wirkungen auf Nervenzellen
  • Krebsforschung: Studien zu potentiellen Effekten bei bestimmten Tumorarten (Histondeacetylase-Hemmung)

Regulatorische Entwicklungen

Die Verschreibungsrichtlinien für Valproinsäure werden kontinuierlich überarbeitet, um die Sicherheit zu erhöhen:

  • Verschärfte Regelungen: Weitere Einschränkungen für Frauen im gebärfähigen Alter möglich
  • Register: Aufbau von Schwangerschaftsregistern zur besseren Datenerfassung
  • Schulungsprogramme: Verpflichtende Fortbildungen für verschreibende Ärzte
  • Patienteninformation: Verbesserte Aufklärungsmaterialien und digitale Tools

Zusammenfassung

Valproinsäure, vertrieben unter Namen wie Ergenyl und Orfiril, ist ein hochwirksames Medikament zur Behandlung von Epilepsie und bipolaren Störungen. Die Substanz wirkt über mehrere Mechanismen im Gehirn und zeigt ein breites Wirkspektrum bei verschiedenen Epilepsieformen. Bei 60-80% der Patienten mit generalisierten Epilepsien kann Anfallsfreiheit erreicht werden.

Trotz der guten Wirksamkeit müssen erhebliche Risiken beachtet werden. Das höchste Risiko besteht in der Schwangerschaft, wo Valproinsäure zu schweren Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen führen kann. Daher gelten für Frauen im gebärfähigen Alter strenge Verschreibungsregeln mit verpflichtendem Schwangerschaftsverhütungsprogramm.

Häufige Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Tremor und Müdigkeit. Seltene, aber schwerwiegende Komplikationen umfassen Leberschädigungen und Pankreatitis. Eine engmaschige ärztliche Überwachung mit regelmäßigen Laborkontrollen ist daher unerlässlich.

Die Dosierung muss individuell angepasst werden, wobei therapeutische Blutspiegel von 50-100 mg/l angestrebt werden. Ein abruptes Absetzen kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen und sollte daher immer schrittweise unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Für viele Patienten ermöglicht eine gut eingestellte Valproinsäure-Therapie eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität mit Kontrolle der Anfälle oder Stabilisierung der Stimmung. Die Entscheidung für oder gegen Valproinsäure sollte jedoch immer unter Berücksichtigung individueller Risikofaktoren und nach Prüfung von Alternativen getroffen werden.

Was ist der Unterschied zwischen Valproinsäure, Ergenyl und Orfiril?

Valproinsäure ist der Wirkstoff, während Ergenyl und Orfiril Handelsnamen für Medikamente mit diesem Wirkstoff sind. Ergenyl wird von Sanofi-Aventis hergestellt, Orfiril von Desitin Arzneimittel. Beide enthalten den gleichen Wirkstoff, unterscheiden sich aber in der Galenik (z.B. Retardformulierung) und den verfügbaren Dosierungen. Die therapeutische Wirkung ist bei beiden Präparaten vergleichbar, wenn sie in gleicher Dosierung eingenommen werden.

Wie schnell wirkt Valproinsäure bei Epilepsie und bipolarer Störung?

Bei Epilepsie kann die anfallsverhütende Wirkung bereits nach wenigen Tagen einsetzen, die volle Wirksamkeit zeigt sich meist nach 1-2 Wochen. Bei akuter Manie im Rahmen einer bipolaren Störung tritt eine spürbare Besserung typischerweise innerhalb von 5-14 Tagen ein. Für die Phasenprophylaxe bei bipolarer Störung benötigt das Medikament etwa 2-4 Wochen, bis die stimmungsstabilisierende Wirkung voll ausgeprägt ist. Eine regelmäßige Einnahme ist für den Therapieerfolg entscheidend.

Warum dürfen Frauen im gebärfähigen Alter Valproinsäure nur unter strengen Auflagen einnehmen?

Valproinsäure hat von allen Antiepileptika das höchste Risiko für schwere Schädigungen des ungeborenen Kindes. Bei Einnahme während der Schwangerschaft besteht ein 30-40% Risiko für Entwicklungsstörungen wie kognitive Beeinträchtigungen oder Autismus und ein 10% Risiko für körperliche Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte oder Herzfehler. Daher ist eine wirksame Empfängnisverhütung, monatliche Schwangerschaftstests und ausführliche Aufklärung verpflichtend. Alternative Medikamente sollten vorrangig geprüft werden.

Welche Blutwerte müssen bei Valproinsäure-Einnahme kontrolliert werden?

Regelmäßige Kontrollen sind essentiell für eine sichere Therapie. Leberwerte (GOT, GPT, Gamma-GT, Bilirubin) sollten vor Therapiebeginn, in den ersten 6 Monaten monatlich und danach alle 3-6 Monate bestimmt werden. Das Blutbild inklusive Thrombozyten wird anfangs alle 2-4 Wochen, später alle 3-6 Monate kontrolliert. Der Valproinsäure-Blutspiegel sollte nach Aufdosierung und bei Dosisänderungen gemessen werden (Zielbereich 50-100 mg/l). Vor Operationen sind zusätzlich Gerinnungswerte erforderlich.

Kann man Valproinsäure einfach absetzen oder muss man ausschleichen?

Valproinsäure darf niemals abrupt abgesetzt werden, da dies zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann. Bei Epilepsie-Patienten droht ein Status epilepticus (anhaltende Anfallsserie), bei bipolarer Störung können schwere manische Episoden auftreten. Das Ausschleichen sollte über mindestens 2-3 Monate erfolgen, mit schrittweiser Dosisreduktion um 200-500 mg alle 1-2 Wochen unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle. Jede Änderung der Medikation muss mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.


Letzte Bearbeitung am Sonntag, 30. November 2025 – 16:13 Uhr von Alex, Webmaster von med-nebenwirkungen.de.

Ähnliche Beiträge

  • Dihydrocodein ist ein wirksames Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, das bei mittelstarken bis starken Schmerzen…

  • Thyronajod ist ein wichtiges Kombinationspräparat zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen, das Levothyroxin mit Jodid vereint. Dieses Medikament…

  • Terazosin ist ein bewährter Wirkstoff zur Behandlung von gutartiger Prostatavergrößerung und Bluthochdruck. Das Medikament, das unter…

  • Terbutalin ist ein bewährter Wirkstoff aus der Gruppe der Beta-2-Sympathomimetika, der seit Jahrzehnten erfolgreich in der…

  • Paracodin ist ein verschreibungspflichtiges Hustenmittel, das den Wirkstoff Dihydrocodein enthält und zur Behandlung von trockenem Reizhusten…

  • Fremanezumab ist ein innovatives Medikament zur vorbeugenden Behandlung von Migräne, das unter dem Handelsnamen Ajovy vertrieben…