Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit und betrifft Menschen aller Altersgruppen. Charakteristisch für diese chronische Störung des Gehirns sind wiederkehrende Krampfanfälle, die durch abnorme elektrische Entladungen in den Nervenzellen ausgelöst werden. In Deutschland leben schätzungsweise 600.000 bis 800.000 Menschen mit Epilepsie, wobei jährlich etwa 38.000 Neuerkrankungen diagnostiziert werden. Die Erkrankung kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, ist jedoch bei etwa 70 Prozent der Betroffenen durch moderne Therapiemethoden gut behandelbar. Ein umfassendes Verständnis der Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten ist entscheidend für einen erfolgreichen Umgang mit dieser Erkrankung.
⚕️ Medizinischer Hinweis zu Epilepsie | Krampfanfälle durch Hirnstörung
Die Informationen auf dieser Seite zu Epilepsie | Krampfanfälle durch Hirnstörung dienen ausschließlich der allgemeinen Aufklärung und ersetzen in keinem Fall die professionelle Beratung oder Behandlung durch einen Arzt oder Apotheker.
🚨 Bei akuten Beschwerden oder Notfällen:
Notruf: 112 – lebensbedrohliche Situationen
Ärztlicher Bereitschaftsdienst: 116 117 – außerhalb der Praxiszeiten
📋 Weitere wichtige Anlaufstellen:
🦷 Zahnärztlicher Notdienst: Zahnarzt-Suche
☠️ Giftnotruf: www.giftnotruf.de (regionale Giftinformationszentralen)
💬 Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenlos, 24/7)
Bitte nehmen Sie keine Medikamente eigenmächtig ein, setzen Sie diese nicht ohne Rücksprache ab und verändern Sie keine Dosierungen. Sollten Sie Nebenwirkungen bemerken oder unsicher sein, wenden Sie sich umgehend an Ihren behandelnden Arzt oder Apotheker.
Unser Gesundheitslexikon bietet Ihnen umfassende Einblicke in medizinische Begriffe.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie bezeichnet eine chronische neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, übermäßige elektrische Entladungen von Nervenzellen im Gehirn. Das Gehirn kommuniziert normalerweise durch geordnete elektrische Signale zwischen den Nervenzellen. Bei Epilepsie kommt es zu einer Störung dieser Kommunikation, wodurch unkontrollierte Entladungen ausgelöst werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit etwa 50 Millionen Menschen mit Epilepsie leben. In Deutschland sind rund 600.000 bis 800.000 Menschen betroffen, was etwa einem Prozent der Bevölkerung entspricht. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten, zeigt jedoch zwei Häufigkeitsgipfel: im Kindesalter und bei Menschen über 60 Jahren.
Definition und medizinische Einordnung
Nach der aktuellen Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) liegt eine Epilepsie vor, wenn mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: mindestens zwei unprovozierte Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden, ein unprovozierter Anfall mit einem Wiederholungsrisiko von mindestens 60 Prozent in den nächsten zehn Jahren, oder die Diagnose eines spezifischen Epilepsie-Syndroms.
Formen und Klassifikation der Epilepsie
Die moderne Klassifikation der Epilepsie erfolgt auf drei Ebenen: der Anfallstyp, die Epilepsieform und das Epilepsie-Syndrom. Diese differenzierte Einteilung ist entscheidend für die Wahl der optimalen Therapie und die Einschätzung der Prognose.
Fokale Epilepsien
Fokale Epilepsien entstehen in einem begrenzten Bereich des Gehirns. Sie machen etwa 60 Prozent aller Epilepsieformen aus. Die Symptome hängen davon ab, welcher Gehirnbereich betroffen ist. Man unterscheidet zwischen fokalen Anfällen mit erhaltener Bewusstheit (früher: einfach-fokale Anfälle) und fokalen Anfällen mit beeinträchtigter Bewusstheit (früher: komplex-fokale Anfälle).
Die Person bleibt während des Anfalls bei Bewusstsein und kann sich später daran erinnern. Symptome können motorische Zuckungen, Sinneswahrnehmungen, emotionale Veränderungen oder vegetative Symptome sein.
Das Bewusstsein ist während des Anfalls beeinträchtigt. Typisch sind automatische Handlungen wie Schmatzen, Nesteln oder ziellose Bewegungen. Die Person erinnert sich nicht an den Anfall.
Ein fokaler Anfall kann sich auf beide Gehirnhälften ausbreiten und in einen generalisierten Krampfanfall übergehen. Dies wird als sekundäre Generalisierung bezeichnet.
Generalisierte Epilepsien
Bei generalisierten Epilepsien sind von Beginn an beide Gehirnhälften betroffen. Diese Form macht etwa 40 Prozent aller Epilepsien aus. Es gibt verschiedene Unterformen mit unterschiedlichen Erscheinungsbildern:
Absence-Epilepsie
Absencen sind kurze Bewusstseinspausen von wenigen Sekunden Dauer. Die Person unterbricht ihre aktuelle Tätigkeit, starrt ins Leere und reagiert nicht auf Ansprache. Nach dem Anfall wird die unterbrochene Tätigkeit nahtlos fortgesetzt. Absencen treten häufig im Kindesalter auf und können dutzende Male täglich vorkommen.
Tonisch-klonische Anfälle
Dies ist die bekannteste Form epileptischer Anfälle, früher als „Grand Mal“ bezeichnet. Der Anfall verläuft in mehreren Phasen: zunächst kommt es zu einer plötzlichen Versteifung des gesamten Körpers (tonische Phase), gefolgt von rhythmischen Zuckungen (klonische Phase). Der Anfall dauert meist ein bis drei Minuten und wird von einer Nachschlafphase gefolgt.
Myoklonische Anfälle
Myoklonische Anfälle äußern sich durch kurze, blitzartige Muskelzuckungen, die vor allem die Arme betreffen. Sie treten häufig morgens nach dem Aufwachen auf und können zum Fallenlassen von Gegenständen führen.
Atonische Anfälle
Bei atonischen Anfällen kommt es zu einem plötzlichen Verlust der Muskelspannung, was zu Stürzen führen kann. Diese Form ist besonders gefährlich wegen der hohen Verletzungsgefahr.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und können in unterschiedlichen Lebensphasen auftreten. Bei etwa 60 Prozent der Fälle kann eine konkrete Ursache identifiziert werden, während bei 40 Prozent die Ursache unbekannt bleibt (idiopathische oder genetische Epilepsie).
Bestimmte Epilepsieformen haben eine genetische Komponente. Bei einigen Epilepsie-Syndromen wurden spezifische Genveränderungen identifiziert. Das Risiko für Kinder, ebenfalls eine Epilepsie zu entwickeln, liegt bei etwa 4-8 Prozent, wenn ein Elternteil betroffen ist.
Hirnschädigungen durch Unfälle, Schlaganfälle, Hirnblutungen oder Tumore können Epilepsie verursachen. Nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma liegt das Epilepsierisiko bei etwa 10-20 Prozent. Nach einem Schlaganfall entwickeln 5-10 Prozent der Betroffenen eine Epilepsie.
Sauerstoffmangel während der Geburt, Frühgeburtlichkeit, Infektionen oder Entwicklungsstörungen des Gehirns können zu Epilepsie führen. Etwa 20-30 Prozent der Epilepsien im Kindesalter haben ihre Ursache in der Zeit um die Geburt.
Hirnhautentzündungen (Meningitis), Gehirnentzündungen (Enzephalitis) oder parasitäre Infektionen wie Neurozystizerkose können Epilepsie auslösen. In Entwicklungsländern sind Infektionen eine der Hauptursachen.
Angeborene Stoffwechselstörungen, schwere Unterzuckerungen, Elektrolytstörungen oder Nierenversagen können epileptische Anfälle verursachen. Diese sind oft behandelbar, wenn die Grunderkrankung therapiert wird.
Demenzerkrankungen wie Alzheimer oder andere neurodegenerative Erkrankungen können im Verlauf zu Epilepsie führen. Bei älteren Menschen ist dies eine zunehmend häufige Ursache.
Auslösefaktoren für Anfälle
Auch bei bestehender Epilepsie gibt es Faktoren, die Anfälle begünstigen können. Die Kenntnis dieser Trigger ist wichtig für die Anfallskontrolle:
- Schlafmangel: Einer der häufigsten Auslöser, besonders bei generalisierten Epilepsien
- Stress und psychische Belastung: Emotionaler Stress kann die Anfallsschwelle senken
- Alkohol: Sowohl Alkoholkonsum als auch Alkoholentzug können Anfälle auslösen
- Vergessene Medikamenteneinnahme: Unregelmäßige Einnahme von Antiepileptika
- Flackerlicht: Bei etwa 3-5 Prozent der Betroffenen (photosensitive Epilepsie)
- Hormonelle Schwankungen: Bei Frauen können Anfälle zyklusabhängig auftreten
- Fieber und Infektionen: Besonders bei Kindern ein bekannter Auslöser
- Bestimmte Medikamente: Einige Arzneimittel können die Anfallsschwelle senken
Symptome und Erscheinungsformen
Die Symptome epileptischer Anfälle sind äußerst vielfältig und hängen vom Anfallstyp und dem betroffenen Hirnbereich ab. Die Bandbreite reicht von kaum wahrnehmbaren Bewusstseinspausen bis zu dramatischen Krampfanfällen mit Sturz und Bewusstseinsverlust.
Vorboten und Aura
Manche Menschen mit Epilepsie bemerken vor einem Anfall Warnzeichen. Diese Aura ist eigentlich der Beginn eines fokalen Anfalls und kann sich unterschiedlich äußern:
- Ungewöhnliche Geruchs- oder Geschmackswahrnehmungen
- Visuelle Phänomene wie Lichtblitze oder Verzerrungen
- Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Körperteilen
- Plötzliche Angstgefühle oder andere emotionale Veränderungen
- Déjà-vu-Erlebnisse oder Gefühle der Unwirklichkeit
- Aufsteigende Empfindungen im Bauchraum
Symptome während des Anfalls
Motorische Symptome
Motorische Symptome umfassen Bewegungsstörungen verschiedenster Art. Bei fokalen Anfällen können einzelne Muskelgruppen betroffen sein, etwa rhythmische Zuckungen eines Arms oder Beins. Bei generalisierten Anfällen kommt es zu beidseitigen Symptomen wie Versteifung oder rhythmischen Zuckungen des gesamten Körpers.
Bewusstseinsveränderungen
Das Bewusstsein kann in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt sein. Bei Absencen kommt es zu kurzen Aussetzern ohne Sturz, bei komplex-fokalen Anfällen zu längeren Phasen der Bewusstseinseintrübung mit automatischen Handlungen, bei tonisch-klonischen Anfällen zu komplettem Bewusstseinsverlust.
Autonome Symptome
Während eines Anfalls können vegetative Symptome auftreten wie Herzrasen, Schwitzen, Erweiterung der Pupillen, Erblassen oder Erröten, Übelkeit oder Harndrang. Bei tonisch-klonischen Anfällen kommt es häufig zu unkontrolliertem Harnabgang.
Symptome nach dem Anfall (postiktale Phase)
Nach einem Anfall benötigt das Gehirn Zeit zur Erholung. Die postiktale Phase kann unterschiedlich lange dauern und verschiedene Symptome zeigen:
- Müdigkeit und Erschöpfung: Oft besteht ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis
- Verwirrtheit: Orientierungsstörungen können mehrere Minuten bis Stunden anhalten
- Kopfschmerzen: Häufig nach generalisierten Anfällen
- Muskelschmerzen: Durch die starke Muskelanspannung während des Anfalls
- Sprachstörungen: Vorübergehende Schwierigkeiten beim Sprechen
- Gedächtnisstörungen: Erinnerungslücken für die Zeit des Anfalls und danach
- Emotionale Veränderungen: Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit
Diagnose der Epilepsie
Die Diagnose einer Epilepsie erfordert eine sorgfältige Untersuchung und mehrere diagnostische Schritte. Eine genaue Diagnose ist entscheidend für die Wahl der richtigen Behandlung und die Einschätzung der Prognose.
Der Arzt erfragt detailliert die Anfallsbeschreibung, Häufigkeit, Auslöser, Vorerkrankungen und Familiengeschichte. Wichtig sind auch Berichte von Augenzeugen, da sich Betroffene oft nicht an den Anfall erinnern können. Die Beschreibung des Anfallsablaufs gibt wichtige Hinweise auf den Anfallstyp.
Eine umfassende neurologische Untersuchung prüft Reflexe, Muskelkraft, Koordination, Sensibilität und kognitive Funktionen. Dies hilft, strukturelle Hirnschädigungen oder andere neurologische Erkrankungen zu erkennen.
Das EEG ist die wichtigste Untersuchung zur Diagnose einer Epilepsie. Es zeichnet die elektrische Aktivität des Gehirns auf und kann typische epilepsietypische Muster erkennen. Ein normales EEG schließt eine Epilepsie jedoch nicht aus. Oft sind Langzeit-EEG-Ableitungen über 24 Stunden oder mehr notwendig.
Eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns ist Standard bei der Epilepsiediagnostik. Sie kann strukturelle Veränderungen wie Narben, Fehlbildungen, Tumore oder Gefäßveränderungen aufdecken. Spezielle Epilepsie-Protokolle erhöhen die Aussagekraft.
Blutuntersuchungen dienen dem Ausschluss stoffwechselbedingter Anfallsursachen wie Unterzuckerung, Elektrolytstörungen oder Infektionen. Bei Verdacht auf genetische Formen können genetische Tests durchgeführt werden.
Bei speziellen Fragestellungen können weitere Untersuchungen sinnvoll sein: Video-EEG-Monitoring zur genauen Anfallscharakterisierung, neuropsychologische Testungen zur Erfassung kognitiver Beeinträchtigungen oder nuklearmedizinische Verfahren (PET, SPECT) vor epilepsiechirurgischen Eingriffen.
Differentialdiagnosen
Nicht jeder Anfall ist epileptisch. Verschiedene Erkrankungen können epileptischen Anfällen ähneln und müssen abgegrenzt werden:
- Synkopen (Ohnmachtsanfälle): Durch kurzzeitige Minderdurchblutung des Gehirns
- Psychogene nicht-epileptische Anfälle: Anfallsartige Ereignisse ohne epileptische Hirnaktivität
- Migräne mit Aura: Kann epileptischen Auren ähneln
- Bewegungsstörungen: Wie Tics oder paroxysmale Dyskinesien
- Schlafstörungen: Wie Narkolepsie oder Parasomnien
- Panikattacken: Können mit Bewusstseinsveränderungen einhergehen
- Transitorische ischämische Attacken (TIA): Vorübergehende Durchblutungsstörungen
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung der Epilepsie hat zum Ziel, Anfallsfreiheit zu erreichen oder zumindest die Anfallshäufigkeit deutlich zu reduzieren, bei gleichzeitig guter Verträglichkeit der Therapie. Etwa 70 Prozent der Menschen mit Epilepsie können mit modernen Behandlungsmethoden anfallsfrei werden.
Medikamentöse Therapie
Antiepileptika (auch Antikonvulsiva genannt) sind die Basis der Epilepsiebehandlung. Diese Medikamente erhöhen die Anfallsschwelle und verhindern die übermäßige elektrische Entladung der Nervenzellen. Aktuell stehen über 25 verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung.
Wirkmechanismen der Antiepileptika
Antiepileptika greifen an verschiedenen Stellen in die Signalübertragung im Gehirn ein. Sie können die Aktivität erregender Botenstoffe hemmen, hemmende Botenstoffe verstärken oder die Funktion von Ionenkanälen beeinflussen. Die Wahl des Medikaments richtet sich nach dem Anfallstyp, der Epilepsieform, dem Alter und möglichen Begleiterkrankungen.
Für fokale Epilepsien: Lamotrigin, Levetiracetam, Carbamazepin, Oxcarbazepin
Für generalisierte Epilepsien: Valproinsäure, Lamotrigin, Levetiracetam, Topiramat
Die Auswahl erfolgt individuell unter Berücksichtigung von Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Patientenpräferenzen.
Begonnen wird mit einem Medikament (Monotherapie) in niedriger Dosierung, die langsam gesteigert wird. Bei 50-60 Prozent der Patienten führt die erste Monotherapie zur Anfallsfreiheit. Bei unzureichender Wirkung erfolgt ein Wechsel auf ein anderes Antiepileptikum oder eine Kombinationstherapie.
Nach zwei bis fünf Jahren Anfallsfreiheit kann bei bestimmten Epilepsieformen ein Absetzversuch erwogen werden. Das Rückfallrisiko liegt bei etwa 40-50 Prozent, ist aber abhängig von verschiedenen Faktoren wie Epilepsieform, EEG-Befund und Ursache der Epilepsie.
Nebenwirkungen und Verträglichkeit
Wie alle Medikamente können auch Antiepileptika Nebenwirkungen verursachen. Häufige unerwünschte Wirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Gewichtsveränderungen oder Hautausschläge. Viele Nebenwirkungen sind dosisabhängig und können durch langsame Aufdosierung vermieden werden.
- Regelmäßige Einnahme zur gleichen Tageszeit ist entscheidend
- Niemals eigenmächtig absetzen – Anfallsrisiko steigt stark an
- Bei Kinderwunsch frühzeitige Rücksprache mit dem Arzt
- Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachten
- Regelmäßige Kontrollen von Blutwerten und Medikamentenspiegeln
- Bei neuen Symptomen oder Nebenwirkungen ärztlichen Rat einholen
Epilepsiechirurgie
Bei etwa 30 Prozent der Patienten gelingt es nicht, mit Medikamenten Anfallsfreiheit zu erreichen. Man spricht dann von pharmakoresistenter oder therapierefraktärer Epilepsie. Für diese Patienten kann eine epilepsiechirurgische Operation eine Behandlungsoption sein.
Voraussetzungen für eine Operation
Eine epilepsiechirurgische Behandlung kommt in Betracht, wenn die Anfälle von einem umschriebenen Hirnbereich ausgehen (fokale Epilepsie), dieser Bereich durch spezielle Untersuchungen lokalisiert werden kann, und die Entfernung dieses Bereichs keine inakzeptablen neurologischen Ausfälle verursacht.
Präoperative Diagnostik
Vor einer Operation erfolgt eine ausführliche prächirurgische Diagnostik in spezialisierten Epilepsiezentren. Diese umfasst hochauflösende MRT-Untersuchungen, Langzeit-Video-EEG-Monitoring über mehrere Tage, neuropsychologische Testungen zur Erfassung kognitiver Funktionen und gegebenenfalls invasive EEG-Ableitungen mittels implantierter Elektroden.
Operative Verfahren
Die häufigste Operation ist die Entfernung des Anfallsherdes (Resektion). Bei etwa 60-80 Prozent der Patienten kann dadurch Anfallsfreiheit erreicht werden. Die Erfolgsaussichten hängen vom Epilepsietyp und der Lokalisation ab. Am besten sind die Ergebnisse bei Temporallappenepilepsie mit Hippocampussklerose.
Weitere Behandlungsverfahren
Vagusnervstimulation (VNS)
Bei der Vagusnervstimulation wird ein schrittmacherähnliches Gerät unter der Haut implantiert, das über eine Elektrode den Vagusnerv am Hals stimuliert. Dies kann die Anfallshäufigkeit bei etwa 50 Prozent der Patienten um mindestens die Hälfte reduzieren. Anfallsfreiheit wird selten erreicht, aber die Lebensqualität kann sich deutlich verbessern.
Ketogene Diät
Die ketogene Diät ist eine sehr fettreiche, kohlenhydratarme Ernährungsform, die vor allem bei Kindern mit schwer behandelbaren Epilepsien eingesetzt wird. Etwa 50 Prozent der Kinder sprechen auf diese Therapie an. Die Diät erfordert eine strenge Überwachung und Anleitung durch spezialisierte Ernährungsfachkräfte.
Responsive Neurostimulation (RNS)
Dies ist eine neuere Methode, bei der ein implantiertes Gerät kontinuierlich die Hirnaktivität überwacht und bei Erkennung eines beginnenden Anfalls automatisch elektrische Impulse abgibt, um den Anfall zu unterbrechen. Diese Therapie ist in Deutschland noch nicht routinemäßig verfügbar.
Prognose und Verlauf
Die Prognose bei Epilepsie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Mit modernen Behandlungsmethoden können etwa 70 Prozent der Patienten anfallsfrei werden. Die Prognose hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab.
Erfolgschancen der Epilepsiebehandlung
Anfallsfreiheit durch erste Monotherapie:
Anfallsfreiheit durch zweite Monotherapie:
Anfallsfreiheit durch Kombinationstherapie:
Pharmakoresistente Epilepsie:
Faktoren für eine günstige Prognose
- Idiopathische (genetische) Epilepsieformen ohne strukturelle Hirnschädigung
- Gutes Ansprechen auf die erste medikamentöse Therapie
- Normale neurologische Entwicklung und Intelligenz
- Normales MRT des Gehirns
- Keine zusätzlichen neurologischen Erkrankungen
- Früher Therapiebeginn nach Diagnosestellung
- Gute Therapieadhärenz (regelmäßige Medikamenteneinnahme)
Lebenserwartung
Die Lebenserwartung von Menschen mit gut kontrollierter Epilepsie unterscheidet sich kaum von der Allgemeinbevölkerung. Bei schweren, therapieresistenten Epilepsieformen oder bei Epilepsien im Rahmen von schweren Grunderkrankungen kann die Lebenserwartung jedoch eingeschränkt sein.
SUDEP – Plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie
SUDEP (Sudden Unexpected Death in Epilepsy) ist eine seltene, aber ernste Komplikation. Das Risiko liegt bei etwa 1:1000 Patienten pro Jahr, ist aber bei schlecht kontrollierter Epilepsie höher. Die genauen Mechanismen sind nicht vollständig geklärt. Eine gute Anfallskontrolle ist die wichtigste Präventionsmaßnahme.
Leben mit Epilepsie
Eine Epilepsie-Diagnose beeinflusst viele Lebensbereiche. Mit guter Behandlung und entsprechenden Anpassungen können die meisten Menschen mit Epilepsie jedoch ein weitgehend normales Leben führen.
Beruf und Ausbildung
Menschen mit Epilepsie können in den meisten Berufen arbeiten. Einschränkungen gibt es bei Tätigkeiten mit besonderer Gefährdung wie Arbeiten in großer Höhe, an laufenden Maschinen oder mit Absturzgefahr. Bei Anfallsfreiheit von mindestens einem Jahr sind viele dieser Tätigkeiten wieder möglich. Eine offene Kommunikation mit dem Arbeitgeber ist wichtig, aber eine Offenbarungspflicht besteht nur bei sicherheitsrelevanten Berufen.
Führerschein und Mobilität
Nach deutschen Richtlinien dürfen Menschen mit Epilepsie einen Führerschein der Gruppe 1 (PKW, Motorrad) erwerben oder behalten, wenn sie mindestens ein Jahr anfallsfrei sind oder ausschließlich Anfälle aus dem Schlaf haben, die seit mindestens drei Jahren bestehen. Für LKW- und Busfahrer (Gruppe 2) gelten strengere Regelungen mit längeren Anfallsfreiheitszeiten.
Sport und Freizeit
Sport ist für Menschen mit Epilepsie grundsätzlich möglich und empfehlenswert. Einschränkungen gelten für Sportarten mit besonderem Risiko wie Tauchen, Freiklettern oder Motorsport. Schwimmen sollte nur unter Aufsicht erfolgen. Bei guter Anfallskontrolle sind die meisten Freizeitaktivitäten möglich.
Schwangerschaft und Familienplanung
Frauen mit Epilepsie können Kinder bekommen. Eine sorgfältige Planung und enge ärztliche Begleitung sind jedoch wichtig. Einige Antiepileptika erhöhen das Risiko für Fehlbildungen, insbesondere Valproinsäure sollte bei Frauen im gebärfähigen Alter möglichst vermieden werden. Eine Folsäure-Supplementierung vor und während der Schwangerschaft wird empfohlen.
Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen
Das richtige Verhalten bei einem epileptischen Anfall kann Verletzungen verhindern und dem Betroffenen Sicherheit geben. Die meisten Anfälle enden von selbst nach ein bis drei Minuten.
Was Sie tun sollten:
- Ruhe bewahren und bei der Person bleiben
- Zeit stoppen – Anfallsdauer ist wichtig für den Arzt
- Gefahrenquellen entfernen – Möbel beiseite räumen, harte Gegenstände entfernen
- Kopf schützen – Etwas Weiches unter den Kopf legen
- Nach dem Anfall in stabile Seitenlage bringen
- Beengende Kleidung lockern, besonders am Hals
- Bei der Person bleiben bis sie wieder vollständig orientiert ist
- Beruhigen und orientieren – Die Person kann verwirrt sein
Was Sie NICHT tun sollten:
- Nicht festhalten oder die Bewegungen zu unterdrücken versuchen
- Nichts in den Mund stecken – Erstickungsgefahr! Zungenbiss ist ungefährlich
- Keine Getränke einflößen während oder direkt nach dem Anfall
- Nicht Mund-zu-Mund beatmen während des Anfalls
Notarzt rufen (112) wenn:
- Der Anfall länger als 5 Minuten dauert
- Ein zweiter Anfall unmittelbar folgt
- Die Person sich verletzt hat
- Die Person nicht wieder zu Bewusstsein kommt
- Es der erste Anfall ist
- Die Person schwanger ist
- Der Anfall im Wasser auftritt
Status epilepticus – Neurologischer Notfall
Als Status epilepticus bezeichnet man einen Anfall, der länger als fünf Minuten anhält, oder eine Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung des Bewusstseins. Dies ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der sofortiger notärztlicher Behandlung bedarf. Der Status epilepticus tritt bei etwa 10-20 Prozent der Menschen mit Epilepsie mindestens einmal im Leben auf.
Aktuelle Forschung und Zukunftsperspektiven
Die Epilepsieforschung hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Neue Erkenntnisse über die Entstehungsmechanismen eröffnen innovative Behandlungsansätze.
Neue Medikamente
Mehrere neue Antiepileptika wurden in den letzten Jahren zugelassen oder befinden sich in fortgeschrittenen Studienphasen. Cenobamat, seit 2021 in Europa zugelassen, zeigt vielversprechende Ergebnisse bei therapieresistenten fokalen Epilepsien. Weitere Substanzen mit neuen Wirkmechanismen werden derzeit erforscht.
Präzisionsmedizin
Durch genetische Untersuchungen können zunehmend spezifische Ursachen identifiziert werden. Dies ermöglicht in manchen Fällen eine gezielte, ursachenorientierte Therapie. Bei bestimmten genetischen Epilepsien können spezifische Medikamente besonders wirksam sein.
Technologische Innovationen
Tragbare EEG-Geräte und Anfallsdetektoren können Anfälle erkennen und Alarm auslösen. Smartphone-Apps helfen bei der Anfallsdokumentation und Medikamentenverwaltung. Künstliche Intelligenz wird eingesetzt, um EEG-Muster zu analysieren und Anfälle vorherzusagen.
Gentherapie
Für bestimmte genetische Epilepsieformen werden gentherapeutische Ansätze erforscht. Erste klinische Studien laufen bereits. Diese Therapien könnten in Zukunft eine kausale Behandlung ermöglichen.
Zusammenfassung
Epilepsie ist eine häufige neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet ist. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von genetischen Faktoren über Hirnschädigungen bis zu Stoffwechselstörungen. Die Symptome variieren stark je nach Anfallstyp und betroffenem Hirnbereich.
Dank moderner Diagnostik und Behandlungsmethoden können heute etwa 70 Prozent der Betroffenen anfallsfrei werden. Die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika ist die Basis der Behandlung. Bei therapieresistenten Formen kommen operative Verfahren, Neurostimulation oder spezielle Diätformen zum Einsatz.
Menschen mit Epilepsie können bei guter Anfallskontrolle ein weitgehend normales Leben führen. Wichtig sind eine konsequente Behandlung, regelmäßige ärztliche Kontrollen und die Vermeidung von Anfallsauslösern. Die Forschung arbeitet kontinuierlich an neuen Therapieansätzen, die die Behandlungsmöglichkeiten weiter verbessern werden.
- Epilepsie ist eine gut behandelbare Erkrankung
- Frühe Diagnose und konsequente Therapie verbessern die Prognose
- Moderne Behandlungsmethoden ermöglichen den meisten Betroffenen ein normales Leben
- Offener Umgang und gute Information reduzieren Stigmatisierung
- Regelmäßige Kontrollen und Therapietreue sind entscheidend
- Bei therapieresistenten Formen gibt es weitere Behandlungsoptionen
Was ist der Unterschied zwischen einem epileptischen Anfall und Epilepsie?
Ein einzelner epileptischer Anfall bedeutet noch keine Epilepsie. Von Epilepsie spricht man erst, wenn mindestens zwei unprovozierte Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden auftreten, oder wenn nach einem Anfall das Wiederholungsrisiko bei über 60 Prozent liegt. Einzelne Anfälle können auch durch akute Auslöser wie Fieber, Alkoholentzug oder Stoffwechselstörungen verursacht werden, ohne dass eine chronische Epilepsie vorliegt.
Kann Epilepsie vollständig geheilt werden?
Epilepsie kann in vielen Fällen erfolgreich behandelt werden, sodass keine Anfälle mehr auftreten. Etwa 70 Prozent der Betroffenen werden mit Medikamenten anfallsfrei. Nach mehrjähriger Anfallsfreiheit kann bei bestimmten Epilepsieformen ein Absetzversuch der Medikamente erwogen werden. Bei manchen Patienten, besonders mit idiopathischen Epilepsieformen im Kindesalter, kann die Epilepsie komplett ausheilen. Eine operative Entfernung des Anfallsherdes kann bei fokalen Epilepsien zu dauerhafter Heilung führen.
Ist Epilepsie vererbbar?
Epilepsie kann eine genetische Komponente haben, ist aber nicht zwangsläufig vererbbar. Bei bestimmten Epilepsieformen wurden genetische Veränderungen identifiziert. Das Risiko für Kinder, ebenfalls eine Epilepsie zu entwickeln, liegt bei etwa 4-8 Prozent, wenn ein Elternteil betroffen ist. Dies ist nur geringfügig höher als in der Allgemeinbevölkerung, wo das Risiko bei etwa 1 Prozent liegt. Die meisten Epilepsieformen werden nicht direkt vererbt.
Dürfen Menschen mit Epilepsie Auto fahren?
Menschen mit Epilepsie dürfen einen PKW-Führerschein besitzen, wenn sie mindestens ein Jahr anfallsfrei sind oder ausschließlich Anfälle aus dem Schlaf haben, die seit mindestens drei Jahren bestehen. Die Fahrtauglichkeit muss regelmäßig ärztlich bestätigt werden. Für LKW- und Busfahrer gelten strengere Regelungen mit längeren erforderlichen Anfallsfreiheitszeiten von in der Regel zwei Jahren. Nach einem erstmaligen Anfall besteht ein Fahrverbot von mindestens sechs Monaten.
Welche Nebenwirkungen haben Antiepileptika?
Antiepileptika können verschiedene Nebenwirkungen verursachen, die von Medikament zu Medikament unterschiedlich sind. Häufige Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Gewichtsveränderungen oder Hautausschläge. Viele Nebenwirkungen sind dosisabhängig und können durch langsame Dosissteigerung minimiert werden. Die meisten Nebenwirkungen treten zu Therapiebeginn auf und bessern sich mit der Zeit. Bei etwa 50-60 Prozent der Patienten führt die Behandlung ohne relevante Nebenwirkungen zur Anfallsfreiheit.
Letzte Bearbeitung am Samstag, 29. November 2025 – 13:32 Uhr von Alex, Webmaster von med-nebenwirkungen.de.